Bewirbt sich ein schwerbehinderter Mensch bei einem öffentlichen Arbeitgeber für eine zu besetzende Stelle, so ist er zu einem Vorstellungsgespräch einzuladen (§ 82 Satz 2 SGB IX).
Versäumt es der öffentliche Arbeitgeber, den schwerbehinderten Bewerber zu einem Vorstellungsgespräch einzuladen, begründet dies regelmäßig die Vermutung einer Benachteiligung wegen der Behinderung und führt deshalb zum Schadenersatz.
Fall
Der schwerbehinderte Arbeitnehmer hatte in seinem Bewerbungsschreiben lediglich angegeben:
„Aus gesundheitlichen Gründen musste ich für kurze Zeit meine Erwerbstätigkeit unterbrechen und mich aufgrund meiner Schwerbehinderung beruflich neu orientieren.“
Er wurde nicht zum Bewerbungsgespräch eingeladen und verlangte zuletzt EUR 4.000,00 Schadenersatz wegen seiner Benachteiligung als Schwerbehinderter.
Das Bundesarbeitsgericht (BAG) sprach ihm den Schadenersatzanspruch zu.
Zur Begründung führte das BAG aus, der Arbeitgeber hätte gegen das Benachteiligungsverbot § 7 Abs. 1 AGG verstoßen. Als öffentlicher Arbeitgeber hätte er einen schwerbehinderten Bewerber nicht wegen seiner Behinderung benachteiligen dürfen.
Denn die Nichteinladung zu einem Vorstellungsgespräch habe zur Folge, dass der Bewerber vorzeitig aus dem Bewerbungsverfahren ausgeschieden sei. Er habe keine Chance mehr gehabt. Darin liege eine unmittelbare Benachteiligung wegen seiner Behinderung.
Bewirbt sich ein schwerbehinderter Mensch bei einem öffentlichen Arbeitgeber um eine zu besetzende Stelle, so hat dieser ihn nach § 82 Satz 2 SGB IX zu einem Vorstellungsgespräch einzuladen. Dies ist nur dann nicht erforderlich, wenn dem schwerbehinderten Mensch die fachliche Eignung offensichtlich fehlt. Deshalb muss der öffentliche Arbeitgeber einem sich bewerbenden schwerbehinderten Menschen die Chance eines Vorstellungsgesprächs auch dann gewähren, wenn dessen fachliche Eignung zwar zweifelhaft, aber nicht offensichtlich ausgeschlossen ist.
Allerdings muss der Arbeitgeber von der Schwerbehinderung auch tatsächlich Kenntnis erlangt haben, etwa durch einen Hinweis im Bewerbungsschreiben, an gut erkennbarer Stelle im Lebenslauf oder durch Übersendung einer Kopie des Schwerbehindertenausweises.
Umkehr der Beweislast
Um dem schwerbehinderten Menschen seine Darlegungslast zu erleichtern, hat der Gesetzgeber die Darlegungs- und Beweislast umgekehrt.
Danach reicht es aus, wenn der schwerbehinderte Mensch Indizien vorträgt, die mit überwiegender Wahrscheinlichkeit darauf schließen lassen, dass eine Benachteiligung nach § 1 AGG erfolgt ist.
Besteht diese Vermutung, trägt der Arbeitgeber die Darlegungs- und Beweislast dafür, dass der Gleichbehandlungsgrundsatz nicht verletzt worden ist.
Der Arbeitgeber muss also Tatsachen vortragen und ggf. beweisen, aus denen sich ergibt, dass ausschließlich andere Gründe vorgelegen haben, die mit der Benachteiligung wegen der Schwerbehinderung nichts zu tun haben.
Kein Hinweis auf den Grad der Behinderung erforderlich
Es reicht aus, wenn der Arbeitnehmer über das Vorliegen seiner „Schwerbehinderung“ informiert. Er muss nicht zusätzlich den Grad der Behinderung mitteilen. Schwerbehinderung nach deutschem Recht liegt vor, wenn mindestens ein Grad der Behinderung von 50 vorliegt.
Ergebnis
Dem Kläger stand eine Entschädigung nach § 15 Abs. 2 AGG zu.
Der öffentliche Arbeitgeber wäre verpflichtet gewesen, ihn als schwerbehinderten Bewerber zu einem Vorstellungsgespräch einzuladen, da er fachlich geeignet war.
Darin liegt die Vermutung einer Benachteiligung wegen seiner Schwerbehinderung. Der Arbeitgeber konnte nicht beweisen, dass der Bewerber aus anderen Gründen als seiner Schwerbehinderung zum Bewerbungsgespräch nicht eingeladen worden war (vgl. BAG Urteil vom 22.10.2015, Az.: 8 AZR 384/14).
Der Autor ist Rechtsanwalt und Fachanwalt für Arbeitsrecht in Weilheim. Alle vom Autor bisher erschienenen Artikel zu aktuellen arbeitsrechtlichen Themen können im Internet auf der Homepage des Autors unter www.fachanwalt-arbeitsrecht.de kostenlos abgerufen werden.
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